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Beschleunigungsgebot in Haftsachen, Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg 2. Strafsenat 04.06.2020

Beschleunigungsgebot in Haftsachen, HOLG Hamburg, 2 Ws 72/20

Erscheint der Angeklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht zur Hauptverhandlung, kann das Gericht unter bestimmten Bedingungen einen Haftbefehl erlassen. Voraussetzung ist, dass das Gericht zunächst aus Gründen der Verhältnismäßigkeit über die Polizei die Vorführung des Angeklagten erzwingt. Das heißt: die Polizei nimmt die Person gegen ihren Willen mit zum Gerichtssaal. Wenn man mit der Vorführung die Anwesenheitspflicht des Angeklagten erreicht, braucht man keinen Haftbefehl. Nach dem Vorführbefehl des Richters wartet das Gericht mit der Hauptverhandlung, bis die Polizei mit dem Angeklagten eintrifft. Passiert es nicht, ergeht der sog. Hauptverhandlungshaft. Zur Sicherung der Durchführung der Hauptverhandlung mit dem Angeklagten wird der Angeklagte verhaftet. Weder spielt die Fluchtgefahr eine Rolle noch, dass ein dringender Tatverdacht vorliegen müsste.

Allerdings sind nach dem Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg, 2. Strafsenat vom
04.06.2020, Aktenzeichen: 2 Ws 72/20

bezüglich der Länge der Hauptverhandlungshaft Grenzen gesetzt.

Selbst wenn das Gericht, wie hier das Amtsgericht Hamburg-Mitte, den Haftbefehl außer Vollzug setzt, dürfen nicht mehrere Monate vergehen, bis die Hauptverhandlung beginnen kann.

Denn:

„Schon der Bestand eines Haftbefehls als solcher stellt eine schwerwiegende Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit dar, denn auch die freiheitsbeschränkenden Auflagen eines außer Vollzug gesetzten Haftbefehls sind ein wesentlicher Eingriff (BVerfGE 53, 152).“ zitiert aus OLG Hamburg, aaO , 2 Ws 72/20

Der zulässige Zeitraum der Inhaftierung nach § 230 StPO (Anm. Hauptverhandlungshaft) darf angesichts des Zwecks der Vorschrift je nach den Umständen des Einzelfalles die Dauer von einer Woche jedenfalls nicht deutlich übersteigen.

Im Einzelnen:

„Konkret folgt aus diesen Grundsätzen, dass die Haft nach § 230 Absatz 2 StPO nicht ohne Bezug zu einem konkreten und nur innerhalb eines kurzen Zeitraums bevorstehen Hauptverhandlungstermin denkbar ist. Wie der Vorführbefehl dient nämlich auch der Haftbefehl des § 230 Absatz 2 StPO allein dazu, die Präsenz des Angeklagten in der erneuten Hauptverhandlung zu sichern. Daraus folgt, dass er nicht länger, als zur Erreichung dieses Zieles notwendig ist, in Haft gehalten werden darf. Deshalb kann es auch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit veranlasst sein, die Vollstreckung eines bereits nach § 230 Absatz 2 StPO erlassenen Haftbefehls erst wenige Tage vor dem neuen Hauptverhandlungstermin zu veranlassen. Geschieht das nicht, so ist jedenfalls in angemessener Zeit nach Festnahme des Angeklagten die Hauptverhandlung durchzuführen (Senat, Beschluss vom 26. Mai 2010, Az.: 2 Ws 97/10);
*

Der zulässige Zeitraum der Inhaftierung nach § 230 StPO darf angesichts des Zwecks der Vorschrift je nach den Umständen des Einzelfalles die Dauer von einer Woche jedenfalls nicht deutlich übersteigen (vgl. BVerfG, NJW 2007, 2318, 2320 [10 Tage: unverhältnismäßig]; OLG Düsseldorf, StraFo 2012, 105 [15 Tage: unverhältnismäßig]“


* Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen gilt auch bei Außervollzugsetzung des Haftbefehls fort (Senat, Beschluss vom 30. Januar 2020, Az.: 2 Ws 6/20;
* Beschränkungen, denen der Angeklagte durch Auflagen und Weisungen nach § 116 StPO (Anm: Verschonung) ausgesetzt ist, dürfen nicht länger andauern, als es nach den Umständen erforderlich ist. 


Es ist bemerkenswert, was das Hanseatische OLG Hamburg sagt.

Noch einmal:

„Die Aussetzung des Vollzuges eines Haftbefehls nach § 230 StPO darf keineswegs Mittel zum Zweck sein, dem Gericht unter Umkehrung der vom Gesetz bezweckten milderen Eingriffsintensität längere Zeit für die erneute Anberaumung eines Hauptverhandlungstermins zu verschaffen und so auf den Angeklagten belastendere Auswirkungen zu entfalten als eine zulässig nur wenige Tage vollzogene Sicherungshaft.“

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg 2. Strafsenat
04.06.2020, 2 Ws 72/20