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Haftbefehl 230 Absatz 2 StPO

Haftbefehl nach § 230 Absatz 2 StPO

Der Erlass des Haftbefehls ist nach § 230 Abs. 2 StPO zulässig, wenn der Angeklagte trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens nach § 236 StP0 unentschuldigt der Hauptverhandlung fernbleibt, auch wenn sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung durch einen nach § 411 Abs. 2 StPO mit einer schriftlichen Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lässt.

Die Anordnung des persönlichen Erscheinens setzt zunächst voraus, dass die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung einen Beitrag zur Sachverhaltsaufklärung erwarten lässt (vgl. BGHSt 30, 172, 175 (zu § 73 Abs. 2 OWiG); Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 236 Rn.3); sie steht im Ermessen des Richters, wobei die berechtigten Interessen des Angeklagten und das Interesse an möglichst vollständiger Sachaufklärung gegeneinander abzuwägen sind (vgl. BGH a.a.O.) und auch die Bedeutung der Sache ins Gewicht fällt (vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 1998, 180; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rn. 4). Der Anordnung steht nicht entgegen, dass der Angeklagte nicht zur Sache aussagen muss, selbst wenn er bereits mitgeteilt hat, er werde zur Sache keine Angaben machen (vgl. BGHSt 38, 251, 257; OLG Stuttgart MDR 1994, 193, 194; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rn. 5)

Kammergericht Berlin 3. Strafsenat

12.09.2014
Aktenzeichen: 3 Ws 484/14, 3 Ws 484/14 – 141 AR 452/1

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei § 230 Abs 2 StPO

KG Berlin 4. Strafsenat
19.07.2016

4 Ws 104/16

Ohne eine Vorführung versucht zu haben, ist der Erlass eines Haftbefehls nur in seltenen Ausnahmefällen verhältnismäßig; ein solcher Fall liegt etwa dann vor, wenn feststeht, dass der Angeklagte auf keinen Fall erscheinen will (vgl. Senat, Beschluss vom 29. Juni 2012 – 4 Ws 69/12 –; LG Berlin ZJJ 2014, 47). Wenn das Gericht demgegenüber sofort zum Mittel des Haftbefehls greift, muss aus seiner Entscheidung deutlich werden, dass es eine Abwägung zwischen der polizeilichen Vorführung und dem Haftbefehl vorgenommen hat. Die Gründe, warum ausnahmsweise sofort die Verhaftung des Angeklagten angeordnet worden ist, müssen tragfähig sein und in dem Beschluss in einer Weise schlüssig und nachvollziehbar aufgeführt werden, dass sie in Inhalt und Umfang eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Gericht im Rahmen seiner Eigenkontrolle gewährleisten. Von entsprechenden Darlegungen kann nur abgesehen werden, wenn die Nachrangigkeit des Freiheitsanspruchs offen zutage liegt und sich daher von selbst versteht (vgl. Sächs. VerfGH aaO, juris-Rz. 12; s. auch LG Dresden, Beschluss vom 29. Dezember 2006 – 3 Qs 155/06 – [juris] mwN; vgl. zum Ganzen Senat OLGSt StPO § 230 Nr. 7).